Umwelt

Umwelt: Tunesien steht vor einer Müllkrise

Das Staatsoberhaupt hört nicht auf, die örtlichen Behörden vor der Verschlechterung der Umweltsituation zu warnen und vermehrt unangekündigte Besuche zu absolvieren. Am Sonntag, als er zu Fuß von Tunis nach Radès ging, beanstandete Kaïs Saïed erneut, dass sich überall Müll ansammelt. Die touristische Hochsaison ist vorbei und eine neue steht bevor. Doch in Tunesien, insbesondere in der Hauptstadt, verschlechtert sich die Umwelt Tag für Tag weiter zu einer regelrechten Müllkrise und schadet damit dem Image eines Landes, das sich als touristisch und zu jeder Jahreszeit gastfreundlich präsentieren will.

Die Stadt Tunis ist das pulsierende Herz Tunesiens und vereint Geschichte, Kultur und Moderne. Darüber hinaus ist sie das Schaufenster des Landes. Hinter dieser vordergründigen Schönheit kämpft die Hauptstadt jedoch mit verschiedenen Umweltproblemen, die immer gravierender werden. Eines der größten Probleme ist die Ausbreitung wilder Mülldeponien und illegaler Ablagerungen, die nicht nur das Stadtbild verschandeln, sondern auch ein hohes Risiko für die öffentliche Gesundheit darstellen.

Doch damit nicht genug: Der Großraum Tunis ist mit einer Verschmutzungskrise konfrontiert, die durch umweltschädliches Verhalten noch verschärft wird. Hinzu kommt, dass die Stadtverwaltungen völlig unfähig sind, die Erwartungen der Gemeinden in Bezug auf Sauberkeit und Abfallentsorgung zu erfüllen. Da der Mangel an finanziellen und personellen Ressourcen ein immer wiederkehrendes und allgemeines Problem darstellt. Aus diesem Grund stellt die Notwendigkeit, das Gesamtabfallaufkommen zu reduzieren, eine Priorität dar. Dies erfordert zudem ein Nachdenken über die Konsum- und Produktionsmuster, was zumindest im Moment nur schwer möglich ist. Trotz der Bemühungen der Zivilgesellschaft, die Bevölkerung für die Sauberkeit in den Städten zu sensibilisieren, verschlechtern sich die Straßen in den meisten tunesischen Städten stetig.

Müll liegt auf den Bürgersteigen, die Straßen und die öffentlichen Räume bieten einen unschönen Anblick. Diese beklagenswerte Situation erweist sich als ein systemisches Problem, das vor allem auf die mangelnde Zivilcourage der Tunesier zurückzuführen ist, die ihren Müll weiterhin einfach irgendwohin werfen, während sie auf der Straße gehen oder aus ihren Fahrzeugen heraus.

Die Unzulänglichkeit der öffentlichen Behörden, die um eine Lösung verlegen sind, stellt ebenfalls ein Problem dar. In La Soukra zum Beispiel, in gehobenen Wohngebieten, ist das Bild dasselbe. Die trotz allem pulsierenden und belebten Straßen sind durch den Müll verschmutzt. Zerrissene Müllsäcke und Plastikverpackungen verunreinigen den Bürgersteig. Der Müll stapelt sich und verwandelt sich sogleich in stinkende Müllberge.

Wo sollen wir anfangen?
Ein Verantwortlicher der Stadtverwaltung von La Soukra, der von La Presse auf die Frage angesprochen wurde und anonym bleiben wollte, meinte, die Situation überfordere die Stadtverwaltung. Er beklagte den Mangel an Ausrüstung, der die Arbeit der Gemeinde beeinträchtige. Die Dienste haben Schwierigkeiten, die Gebiete, für die sie zuständig sind, abzudecken. Er beschuldigte die Einwohner der Sorglosigkeit und mangelnden Kooperation und forderte kollektive Lösungen. „Wie soll man mit ein paar Dutzend Mitarbeitern Hunderte von Vierteln und Straßen reinigen?  Die Situation betrifft nicht nur La Soukra, sondern das gesamte Abfallsammelsystem muss auf nationaler Ebene überarbeitet werden“, riet er. Auch das tunesische Forum für wirtschaftliche und soziale Rechte (FTDES) warnt vor einer deutlichen Verschlechterung der allgemeinen Umweltsituation.

Der Fall Sfax ist bezeichnend und gibt einen Einblick in die Situation, die im ganzen Land und in jeder Region vorherrscht, während die Mülldeponien überall an ihre Grenzen stoßen. Sein Sprecher Romdhane Ben Amor erklärte gegenüber La Presse, dass das Forum bereits vor einem Monat einen ausführlichen Bericht veröffentlicht habe, um die Behörden zu warnen. „Die Meinungsunterschiede und Interessenkonflikte zwischen den verschiedenen Akteuren, die in den Prozess der Abfallentsorgung involviert sind, machen aus der Umweltfrage ein spaltendes Thema, das sich allmählich zu einer Konfrontation entwickelt“, warnte er. Er fügte hinzu, dass die Vergabe eines Teils der Dienstleistungen an private Unternehmen durch sogenannte Konzessionen von der Unfähigkeit des Staates zeuge, die Situation zu bewältigen, und von einer schrittweisen und heimlichen Privatisierung des Sektors. Zu diesem Zweck plädiert das FTDES für die Einführung von Recyclingprogrammen, um die Menge des auf Deponien entsorgten Abfalls zu reduzieren.

Sfax, die geschädigte Stadt
In Sfax scheint die Umweltsituation im Vergleich zum Rest des Landes noch schlimmer zu sein. Der Alltag der Sfaxis ist seit mehreren Monaten gelinde gesagt unerträglich. Grund dafür sind die großen Mengen an Hausmüll, die in jedem Winkel der Stadt herumliegen und das Fehlen einer Mülldeponie mit großer Kapazität. Der Müll ist überall und die Stadtverwaltungen, denen es an Ausrüstung und Lösungen mangelt, haben Mühe, ihn zu entsorgen. In diesem Gouvernorat, das bereits stark von der Migrationskrise betroffen ist, ist die Umweltsituation so kompliziert, dass ein ehemaliger Gouverneur die Intervention der nationalen Armee forderte, um bestimmte Mülldeponien zu sichern.

Diese Aussagen waren seinerzeit kontrovers und wurden von den Bürgern abgelehnt. Nur muss der Staat zwischen denjenigen, die die Eröffnung neuer Mülldeponien in der Nähe ihrer Wohnorte ablehnen, und denjenigen, die eine radikale Lösung für den Müll fordern, der sich überall unter freiem Himmel türmt, wo man hingeht, eingreifen und im Interesse der Allgemeinheit schlichten. Bis zur Umsetzung einer praktikablen Lösung für die Abfallbehandlung und -verwertung auf nationaler Ebene.

Titelbild: Beispielbild aus einer Straße in Sousse

Ein Artikel von La Presse in französischer Sprache
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