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Spekulanten: Kaïs Saïed zieht den Zorn der Utica auf sich

Wenn der Staatschef seit seinem Amtsantritt in Karthago eines geschafft hat, dann ist es, sich mit den Unternehmern und Geschäftsleuten anzulegen. Nach den vermeintlich „Korrupten“ greift er nun die mutmaßlichen „Spekulanten“ und „Monopolisten“ an. Dabei geraten aber auch immer häufiger ehrliche Händler und unbescholtene Firmen in das Visier der Wirtschaftsfahnder.

Als Reaktion auf die wachsende Besorgnis über die Knappheit von u. a. Grieß, Mehl und Pflanzenöl gab Kais Saïed letzte Woche in einem verzweifelten Versuch den Startschuss für eine intensive Kampagne gegen die angeblich großen Akteure der Hungerwirtschaft. Die Raketen, die der Staatschef losschickte, verirrten sich jedoch auf dem Weg und erstickten innerhalb weniger Stunden seine x-te populistische Wunschvorstellung. Gewerkschaften, Großhändler und Unternehmer beklagten sich über Schikanen.

In einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung bezeichnete die Nationale Kammer des Lebensmittelgroßhandels, die dem Arbeitgeberverband Utica angehört, diese Kampagne als rufschädigend und klagte über missbräuchliche Razzien und Festnahmen. Die Utica forderte das Handelsministerium auf, endgültige Lösungen zu finden, um den Mangel an subventionierten Lebensmitteln zu beheben. Sie warnte vor der Fortsetzung dieser Praktiken und ihren schwerwiegenden Auswirkungen auf den Hauptvertriebszyklus, den Warenkorb der Bürger und das gesamte Wirtschaftsgefüge.
Am nächsten Tag bestätigte die Utica, dass die in Tunesien eingesetzten Einsatzgruppen auf der Suche nach versteckten Lebensmitteln, die von kriminellen Akteuren und Spekulanten aus den konventionellen Vertriebsnetzen entfernt worden waren, verschiedene Verstöße begangen hatten und die Menschen aus Mangel an Grundnahrungsmitteln vor dem Buffet tanzen ließen, während der Fastenmonat kurz vor der Tür steht.

Auch ehrliche Händler und unbescholtene Firmen im Visier der Wirtschaftsfahnder
Der Arbeitgeberverband verurteilte diese Aktionen aufs Schärfste und stellte fest, dass die Kampagne des Staatspräsidenten gegen Spekulanten die Vertrauenskrise, die der Staatschef durch seine Tiraden und die Auswüchse seiner inkohärenten Kritik selbst heraufbeschworen hatte, nur noch verschlimmert habe.
Die Razzien, die im Rahmen dieses Krieges – der vom Innenministerium aus erklärt wurde – durchgeführt wurden, betrafen angeblich illegale, aber auch legale Lager. Vor allem zwei Aktionen sorgten für einen Skandal und ließen auf ein Chaos bei der Durchführung schließen, dass nicht überraschend war, da das Präsidialdekret zur Regelung der Inspektionsrunden noch nicht veröffentlicht worden war.

Der erste Vorfall ereignete sich in den Lagerhäusern der international tätigen Diari- und Spiga-Gruppe, wo Weizenmengen gelagert wurden, die nicht den internationalen Qualitätsstandards entsprachen und daher nicht exportiert werden konnten. Die Gewerkschaft des Konzerns forderte vom Staat eine offizielle Entschuldigung.
Der zweite Vorfall ereignete sich im Lager einer Pflanzenölfabrik in Sfax. Der Besitzer wurde fälschlicherweise der Spekulation beschuldigt und festgenommen, obwohl die gelagerten Ölmengen laut des Anwalts des Unternehmens an Kunden verteilt werden sollten. Dieser versicherte, dass er die Rechnungen als Beweis für die Transaktionen besitze.

Nicht nur Spekulanten sind Schuld an der derzeitigen Lage
Neben den gemeldeten Missbräuchen erklärte die Utica, dass der Mangel an Grundnahrungsmitteln, insbesondere Mehl, nicht nur auf das spekulative Verhalten einiger Händler zurückzuführen sei, sondern vielmehr auf den Mangel an Rohstoffen, womit sie die vom Präsidenten der Republik vorgebrachten Argumente in Frage stellte. Der Arbeitgeberverband behauptete in seiner Erklärung, dass der Produktionssektor die Versorgung des Großhandels mit grundlegenden Verbrauchsgütern sicherstelle, der wiederum den Einzelhandel versorge, trotz der Schwierigkeiten, die in mehreren Sektoren aufgrund des Rohstoffmangels und der ausstehenden Zahlungen des Staates aufgetreten seien.

Lieferanten wollen Vorkasse
Erinnern wir uns: Im Dezember 2021 lagen sechs Schiffe – beladen mit Weizen – wochenlang in den Häfen von Radès, Sfax und Gabès auf Reede. Laut des Abgeordneten, der den Fall anprangerte – Sahbi Ben Fradj – wurden die Waren nicht entladen, weil die Lieferanten aus Mangel an Vertrauen in den tunesischen Staat, der derzeit als „nicht kreditwürdig“ eingestuft wird, eine Vorauszahlung haben wollten. Im letzten Quartal des vergangenen Jahres hatten die internationalen Ratingagenturen die Bonität Tunesiens auf B- mit negativem Ausblick herabgestuft. Eine Herabstufung, die damals erhöhte Risiken für die Haushalts- und externe Liquidität widerspiegelte, die auf Verzögerungen beim Abschluss einer Vereinbarung über ein neues Programm mit dem Internationalen Währungsfonds zurückzuführen waren.
Die Zahlungsrückstände führten zu Lieferverzögerungen, die sich fortsetzen und noch verschärfen könnten, zumal die Ratingagentur Fitch Ratings die Bonität des Staates, der das Monopol für den Import von Rohstoffen besitzt, am vergangenen Freitag (18.03.2022) erneut auf CCC herabgestuft hat. Auch der internationale Kontext könnte die Situation komplizierter machen. Auf die Frage nach dem Verlauf der Rohstoffversorgung erklärte der Kommunikationsbeauftragte des Handelsministeriums am Donnerstag, den 17. März, in einer Erklärung im nationalen Rundfunk die Verzögerungen mit dem Mangel an Vertriebscontainern und den gestiegenen Seefrachtkosten aufgrund des Anstiegs der Heizölpreise infolge des russisch-ukrainischen Konflikts.

Diese Erklärungen sind wiederum weit entfernt von den politischen Argumenten, die der Mieter des Palastes von Carthage vor einigen Tagen vorbrachte, als er sich in einer traditionellen Bäckerei aufhielt, in der Hoffnung, die hungrigen Mägen auf der Suche nach Brot zum Schweigen zu bringen. An jenem Tag stand er mit dem Rücken zur Wand. Heute steht er mit dem Rücken zur Wand einer wütenden wirtschaftlichen und politischen Führungselite und einem Volk, das ungeduldig auf die nicht eingelösten Versprechen des Anwalts der Armen wartet.

Titelbild: Der Präsident in einer Bäckerei am 14 März 2022 (Präsidentschaft)

Quelle: Business News