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Interview mit dem französisch-tunesischen Bürgerrechtler Tarek BEN HIBA zum Pariser Mittelmeergipfel

Tarek Ben Hiba ist Mitglied der in Paris ansässigen FTCR (Fédération des Tunisiens pour une citoyenneté des deux rives ) oder „Vereinigung der Tunesier für Bürgerrechte auf beiden Ufern“ des Mittelmeers, und war früher ihr Vorsitzender. Seit 2004 ist Ben Hiba Angehöriger des Regionalparlaments der Pariser Region Ile-de-France, in das er als Parteiloser auf einer offenen Liste der französischen KP unter dem Titel Gauche citoyenne et populaire (Linke der Bürgerrechte und der kleinen Leute) gewählt worden ist. Er ist in zahlreichen Initiativen für den Kampf gegen Rassismus, Bürgerrechte und für internationale Solidarität anzutreffen.

Eine leicht gekürzte Fassung dieses Interviews von Bernard Schmid erschien am Donnerstag, 10. Juli in der Wochenzeitung ‚Jungle World‘ .

FRAGE: Sie gehören einer Vereinigung an, die für „Bürgerrechte auf beiden Ufern des Mittelmeers“ kämpft. Nun findet am kommenden Sonntag in Paris, unter den Fittichen von Präsident Nicolas Sarkozy, der Gründungsgipfel einer „Union für das Mittelmeer“ statt. Da müssten Sie doch eigentlich sagen: Prima, genau das haben wir immer gefordert…

ANTWORT: Nein. Würde es sich um eine wirkliche „Union für das Mittelmeer“ handeln, dann wäre ich einverstanden: Das Mittelmeerbecken ist ein geschichtsträchtiges Territorium, das zahlreiche unterschiedliche Kulturen einander treffen ließ – von den Phöniziern über die Griechen und die Araber bis zu den Abendländern. Diese Zone konzentriert auch zahlreiche menschliche Dramen – Kriege, den Kampf um Reichtümer, die Dramen unter den haraga . So nennt man in Nordafrika die so genannten illegalen Auswanderer. Unzählige unter ihnen bezahlen ihren Traum mit dem Leben, der Boden des Mittelmeers ist ein Friedhof. Also, ja, einen gemeinsamen politischen Rahmen für die Bewohner des Mittelmeerbeckens zu schaffen, wäre etwas Fantastisches…

FRAGE : Also nur Pluspunkte für Sarkozys Vorhaben?

ANTWORT: Überhaupt nicht! Denn was da vorgeschlagen wird, hat gar nichts mit einer politischen Union für die Menschen im Mittelmeerraum zu tun. Zunächst einmal handelt es sich bei dem, was am kommenden Wochenende in Paris stattfindet, um eine pure PR-Veranstaltung. Zuvor haben die anderen EU-Länder, und besonders die Deutschen, das Projekt seiner anfänglich proklamierten politischen Ambitionen, seines Inhalts entleert. Der Grund dafür war, dass Sarkozy alleine vorpreschen und auf die Interessen seiner Verbündeten nicht genügend Rücksicht nehmen wollte. Deutschland war gegen das ursprünglich formulierte Projekt und hat eine Neuausrichtung erreicht, Spanien steht noch immer im Konflikt mit Frankreich…

FRAGE: Aber unabhängig davon, was ursprünglich geplant war und heute noch davon übrig ist – sehen Sie es nicht positiv, dass dennoch eine politische Annäherung der Länder vom Nord- und vom Südrand des Mittelmeers stattfindet?

ANTWORT: Aber was Nicolas Sarkozy vorschlägt, ist ein rein zwischenstaatliches Forum: Es ist schlichtweg keinerlei Raum für Bürgerrechtsbewegungen, für Gewerkschaften und soziale Bewegungen, für kritische Diskussionen vorgesehen. Insofern ist das Projekt noch schlechter als der so genannte „EuroMed-Dialog“ den die EU im November 1995 in Barcelona begonnen hatte und der zum Abschluss bilateraler Abkommen mit den Staaten im Osten und Süden des Mittelmeers führen sollte. Im Rahmen des so genannten „Barcelona-Prozesses“ war immerhin noch ein offizieller kleiner Raum vorgesehen, in dem auch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus dem Süden ihre Anliegen vortragen sollten. Das hat zwar in der Praxis zu keinerlei Konsequenzen geführt, es blieb beim Reden, aber die NGOs und die Zivilgesellschaft wurden dadurch bislang immerhin noch anerkannt.

Die jetzigen Gesprächspartner Frankreichs und der Europäischen Union sind ausschließlich die Regierungen und Regimes, und von denen sind ein Großteil vollkommen autoritär: Ben Ali in Tunesien, Mubarak in Ägypten, Assad in Syrien, Kaddafi in Libyen…

FRAGE: Kaddafi scheint ja nun definitiv nicht zu kommen.

ANTWORT: Richtig. Aber er wurde und wird von Frankreichs Staatsspitze bis zuletzt umworben, auch wenn er nun eine Absage erteilt hat. Und werfen wir nun auch einen Blick auf den Inhalt der politischen Vorhaben, die Präsident Sarkozy für die „Union für das Mittelmeer“ in Aussicht gestellt hat. Konkret sind vier relativ kleine Projekte vorgesehen. Das erste ist etwa die Säuberung des Mittelmeers von Umweltgiften. Ein nobles und richtiges Vorhaben, aber bislang ist keinerlei Haushalt dafür vorgesehen – es wird lediglich eine Ambition proklamiert, aber zum jetzigen Zeitpunkt sind keine Gelder konkret dafür eingeplant.

Gleichzeitig enthält das Projekt der „Union für das Mittelmeer“ keinerlei Ansatz, um die gro b en politischen Probleme zu lösen. So ist das Problem der Besetzung der palästinensischen Gebiete und der expansiven Siedlungspolitik Israels nach wie vor ungelöst. Wir sind der Auffassung, dass der Staat Israel erst dann an einer politischen Union teilnehmen dürfte, wenn auch die palästinensische Bevölkerung über ihr Schicksal bestimmen kann und über einen lebensfähigen Staat verfügt. Sarkozy favorisiert die umgekehrte Methode: Nicht dadurch, dass die Rechte der Bevölkerungen – aller Bevölkerungen – geltend gemacht werden und diese sich selbst mit einer eigenen Stimme zu Wort melden können, soll das Problem gelöst werden. Vielmehr sollen auf zwischenstaatlicher Ebene der Staat Israel und die autoritären arabischen Regimes im Rahmen der Institutionen der neuen Union aneinander rücken. Auf dem Rücken der jeweiligen Bevölkerungen, der palästinensischen wie aller anderen Bevölkerungen, die nicht gefragt werden.

FRAGE: Der Sitz der „Union für das Mittelmeer“ soll, so wird vermutet, in Tunis angesiedelt werden. Was meinen Sie als Vertreter einer französisch-tunesischen Vereinigung dazu?

ANTWORT: Bislang ist es noch spekulativ, sich zu den Fragen der Aufteilung der künftigen Posten in der neuen Union zu äußern. Um Zustimmung unter den Staaten für sein Projekt zu ernten oder um sie beizubehalten, ist Nicolas Sarkozy dabei, den Einen und den Anderen eifrig Zuckerl zu verteilen. Welchen Kompromiss das am Ende zwischen den unterschiedlichen staatlichen Interessen erfordert, bleibt abzuwarten.

Aber falls der Sitz tatsächlich in Tunis angesiedelt wird, dann muss klar sein, dass er in einem Lande liegt, das polizeistaatlich regiert wird, in dem es keine auch nur in Ansätzen vorhandene Presse- und Informationsfreiheit gibt. In Tunesien wird sogar das Internet zensiert. Das tunesische Regime zählt zu den repressivsten im ganzen Mittelmeerbecken, auch wenn es unspektakulär auftritt und keine Ideologie proklamiert. Es ist gerade dabei, der tunesischen Liga für Menschenrechte (LTDH) nach achtjährigen zähen Auseinandersetzungen und Prozessen endgültig den Garaus zu machen. Und Präsident Ben Ali ist dabei, vor der kommenden Präsidentschaftswahl von 2009 die x-te Verfassungsänderung zu seinen Gunsten durchzupeitschen; dieses Mal, um den einzigen aussichtsreichen Bewerber der legalen und demokratischen Opposition – Nadjib Chebbi – durch neue formale Anforderungen an einer Kandidatur zu hindern. Unter diesen Bedingungen wäre klar, dass die Institutionen einer solchen Union in Tunis vollkommen von den demokratischen Regungen der Gesellschaft abgeschnitten wären. Denn ihre Äußerungen werden im staatlichen Klammergriff erstickt.

FRAGE: Was wäre in Ihren Augen eine Alternative zum jetzigen Vorhaben?

ANTWORT: Von der französischen EU-Ratspräsidentschaft erwarte ich mir, zunächst einmal, überhaupt nichts. Eher noch sind die nordeuropäischen Staaten für bestimmte Anliegen der Zivilgesellschaften offen.

Ansonsten setzen wir stark darauf, dass Gewerkschaften, soziale Initiativen und Menschenrechtsverteidiger für ihre Anliegen mobilisieren, auf beiden Seiten des Mittelmeers, und miteinander in Dialog treten. In Tunesien gibt es etwa eine soziale Revolte, die seit Monaten – seit Januar dieses Jahres – im Bergbaubecken von Gafsa andauert. Eine Bewegung gegen die mafiöse Einstellungspraxis in den Phosphatbergwerken, für bessere Lebensbedingungen und für die Würde der Menschen. Eine soziale Bewegung völlig neuen Typs, wie wir sie bisher nicht gekannt haben: weder ein klassischer, von Gewerkschaften angeführter Arbeitskampf noch ein Riot, das innerhalb einiger Tage in sich zusammenfällt. Die Leute im Bergbaubecken haben ihr Schicksal in die eigene Hand genommen, und obwohl ihre Bewegung harter Repression ausgesetzt ist, haben die Machthaber sie nicht tot bekommen. Dazu gab es eine breite Solidarität, in Paris zusammen mit französischen Organisationen, in Nantes – wo viele Tunesier aus der Region von Gafsa leben – und anderswo. Die Hoffnung liegt in solchen Ansätzen.

http://www.labournet.de/internationales/tn/benhiba.html

Veröffentlicht am 2. September 2008 in der Kategorie Oppositionelle & Bürgerrechtler des Blogs TunisianGhost