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Tunesische Regierung plant Änderungen gegen Menschenrechtler im Strafrecht (2010)

Die tunesische Regierung plant Änderungen im Strafrecht, die tunesische und internationale KritikerInnen der Menschenrechtslage im Land zum Schweigen bringen sollen.

Die tunesischen Behörden planen Änderungen des Artikels 61bis des Strafgesetzbuches, der die Verletzung der „äußeren Sicherheit“ Tunesiens behandelt. Gemäß Artikel 61bis steht der Kontakt zu „BehördenvertreterInnen einer ausländischen Macht, um die militärische und diplomatische Situation in Tunesien zu untergraben“ unter Strafe. TunesierInnen, die wegen dieses Verbrechens verurteilt werden, droht derzeit eine Haftstrafe von bis zu 20 Jahren, auf jeden Fall aber eine Mindeststrafe von fünf Jahren. Nach der neuen Gesetzgebung würde der Artikel auch jene unter Strafe stellen, die sich an ausländische Institutionen wenden, um Tunesiens wesentlichste Interessen wie seine „wirtschaftliche Sicherheit“ zu verletzten.

Die Änderungen im Strafrecht zielen eindeutig auf MenschenrechtsaktivistInnen ab, die sich bei ausländischen Institutionen wie der Europäischen Union (EU) dafür einsetzen, dass diese auf die tunesische Regierung bezüglich der Menschenrechtslage im Land Druck ausüben. MenschenrechtlerInnen droht wegen ihrer Lobbyarbeit Strafverfolgung, falls die Gesetzessänderung erfolgreich ist.

Dieser Gesetzesentwurf scheint eine unmittelbare Antwort der tunesischen Behörden auf Treffen von tunesischen MenschenrechtsaktivistInnen mit EU-ParlamentarierInnen und -BeamtInnen zu sein, die Anfang des Monats in Madrid und Brüssel stattfanden. Dabei ersuchten die tunesischen MenschenrechtlerInnen diese darum, Druck auf die tunesische Regierung auszuüben, damit diese ihren Verpflichtungen als Vertragsstaat des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) und mehreren anderen Menschenrechtsabkommen nachkommt. Tunesien verhandelt derzeit mit der EU über seinen Partnerschaftsstatus und möchte diesen zu einem erweiterten Status der Partnerschaft ausbauen.

Die Regierung soll am 19. Mai 2010 in einer Kabinettssitzung über die neue Gesetzgebung entschieden haben. Der Entwurf wird nun mindestens einem Parlamentsausschuss vorgelegt, bevor er dem Parlament zur Debatte vorgelegt und anschließend als Gesetz verabschiedet wird. Es ist zu erwarten, dass die Behörden die Gesetzgebung schnell durch das Parlament bringen, da die Regierungspartei Rassemblement Constitutionel Démocratique (RCD) in beiden Parlamentskammern die Mehrheit besitzt und eine wirkliche Debatte unwahrscheinlich ist.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Die tunesischen Behörden haben sich sehr bemüht, weltweit das Bild zu vermitteln, dass sie die Menschenrechte achten. Im Oktober 2009 hatte Präsident Zine El Abidine Ben Ali erklärt, dass sich seine Regierung für „die stetige Entwicklung von Rechtsvorschriften, Einrichtungen und Organen im Bereich der Menschenrechte und die Verstärkung zivilgesellschaftlichen Handelns zu diesem Thema eingesetzt habe“. Zu einem späteren Zeitpunkt im Oktober nahm er jedoch Bezug auf MenschenrechtsaktivistInnen und JournalistInnen , die versuchten, Menschenrechtsverletzungen und Korruption der tunesischen Regierung aufzudecken, und kritisierte diese „winzige Minderheit unter den Tunesiern, die seine [Tunesiens] Errungenschaften und Verdienste anzweifelt. Diese winzige Minderheit Tunesier verzichtet auf die Ehre, Tunesier zu sein; eine Ehre, die sie zu einem Sinn für Anstand und Diskretion angesichts allem verpflichtet, was ihrem Land schaden kann. Sie haben die Heiligkeit und Unantastbarkeit des Landes nicht geachtet.“

In der Praxis wird jeder, der dieses Bild in Frage stellt, zur Zielscheibe der Sicherheitskräfte. MenschenrechtsaktivistInnen in Tunesien sind bei ihrer Arbeit Schikanen und Einschüchterungen ausgesetzt. Viele haben berichtet, unter ständiger Kontrolle der Sicherheitskräfte zu stehen und daran gehindert zu werden, das Land zu verlassen oder innerhalb Tunesiens zu reisen. Dies stellt eine Verletzung ihres Rechts auf Bewegungsfreiheit dar. Einige berichteten außerdem, von Männern in Zivilkleidung, die Mitglieder der Sicherheitskräfte zu sein schienen, geschlagen worden zu sein. Die Behörden haben Anträge auf Registrierung der Menschenrechtsorganisationen durchgängig abgelehnt, ohne die diese formal nicht tätig sein dürfen. Die Behörden haben die Arbeit der wenigen offiziell eingetragenen Organisationen ständig behindert, in einigen Fällen sogar durch interne Übernahmen durch RegierungsanhängerInnen. Tunesische AktivistInnen, die sich im Ausland über die Menschrechtslage in Tunesien äußerten, wurden bei ihrer Rückkehr schikaniert und verhört. Mehreren wurde die Genehmigung zur erneuten Ausreise verweigert.

Der Außenminister trägt die Verantwortung für das internationale Ansehen Tunesiens. Amnesty International ist der Ansicht, dass internationale Appelle, die sich direkt an den Minister wenden, ihn davon überzeugen könnten, dass die geplante Gesetzesänderung zurückgezogen werden sollte, da diese das Bild Tunesiens in der Öffentlichkeit schädigen würde.

Das Ministerium für Justiz und Menschenrechte überwacht die Ausarbeitung der geplanten Rechtsvorschrift. Der Minister besitzt die Kompetenz, Maßnahmen bezüglich der von Amnesty International geäußerten Bedenken zu ergreifen, und man würde von ihm erwarten, diese bei den anderen Mitgliedern der tunesischen Regierung zur Sprache zu bringen.

Die tunesischen Behörden haben kürzlich eine US-amerikanische PR-Agentur engagiert, um Tunesiens Image im Ausland zu verbessern.

EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE, E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE

  • Fordern Sie die Behörden auf, die geplanten Ergänzungen des Artikels 61bis des Strafgesetzbuches zurückzuziehen.
  • Dringen Sie bei den Behörden darauf, MenschenrechtsaktivistInnen und RegierungskritikerInnen nicht länger zu schikanieren und das Recht auf freie Meinungsäußerung zu achten sowie das Recht von MenschenrechtsverteidigerInnen, an friedlichen Aktionen gegen Verletzungen von Menschrechten und fundamentalen Freiheiten teilzunehmen. Diese Verpflichtungen ergeben sich aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Recht, zu dessen Vertragsstaaten Tunesien gehört, und aus der Erklärung über das Recht und die Verpflichtung von Einzelpersonen, Gruppen und Organen der Gesellschaft, die allgemein anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern und zu schützen (UN-Erklärung zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern).

APPELLE AN

AUßENMINISTER
Kamel Morjane
Avenue de la Ligue des Etats arabes
Nord Hilton
1030 Tunis
TUNESIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency)
Fax: (00 216) 71 784 553

MINISTER FÜR JUSTIZ UND MENSCHENRECHTE
Lazhar Bououni
Ministry of Justice and Human Rights
31 Boulevard Bab Benat
1006 Tunis – La Kasbah
TUNESIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency)
Fax: (00 216) 71 568 106
E-Mail: mju@ministeres.tn

KOPIEN AN
PR-AGENTUR
Gregory L. Vistica
President
Washington Media Group
525 9th Street, NW, Suite 800
Washington DC 20004
USA
Fax: (00 1) 202 628 1218
E-Mail: info@WashingtonMedia.com

BOTSCHAFT DER TUNESISCHEN REPUBLIK
I.E. Frau Alifa Chaabane Ep Farouk Badra
Lindenallee 16
14050 Berlin
Fax: 030-3082 0683

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Französisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 9. Juli 2010 keine Appelle mehr zu verschicken.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Calling on the Tunisia authorities to withdraw the proposed additions to Article 61bis of the Penal Code;
  • Urging them to stop harassing and intimidating human rights activists and government critics, and to uphold the right to freedom of expression and the right of human rights defenders to participate in peaceful activities against violations of human rights and fundamental freedoms, in line with Tunisia’s obligations under the International Covenant on Civil and Political Rights to which Tunisia is a state party and the Declaration on the Right and Responsibility of Individuals, Groups and Organs of Society to Promote and Protect Universally Recognized Human Rights and Fundamental Freedoms (known as the UN Declaration on Human Rights Defenders).

Quelle: Amnesty International

Veröffentlicht am 16. Juni 2010 in der Kategorie „Sonstiges zur tunesischen Politik“ des Blogs TunisianGhost